Eurokrise: Die fatalen Folgen des billigen Geldes

Seit dem Ausbruch der Eurokrise mit der Mitteilung Griechenlands, dass man das Haushaltsdefizit massiv bei den Statistiken nach unten manipuliert habe, ist ein Streit entstanden, was die Ursachen für die daraus sich entwickelnde Eurokrise gewesen sei. Für die Südländer zusammen mit Irland lag die Ursache in der Divergenz bei den Geld- und Kapitalmarktzinsen innerhalb der Eurozone. Nachdem nach Einführung des Euro sich die Zinsen an das niedrige Zinsniveau in Deutschland angepasst hatten, erlebten diese Länder insbesondere eine Sonderkonjunktur. Geld war schlagartig auf ein zuvor historisch einzigartig niedriges Niveau für die Länder gefallen.

 Dieser Bonus verführte die Politik und Wirtschaft aufgrund dieses Wunders dazu ihre Kredite finanzierten Ausgaben sowohl bei Investitionen und Konsum massiv auszuweiten. Das schnellere Wirtschaftswachstum wurde als großer Erfolg der Währungsunion in diesen Ländern gefeiert. Deutschland wurde insbesondere in den PIIGS-Staaten aufgrund rasant steigender Arbeitslosigkeit und niedrigen Wirtschaftswachstums plötzlich als kranker Mann Europas belächelt[1]. Man sah sich und war es vorübergehend auch als Gewinner der Währungsunion.

Deutschland Probleme in dieser Lage sich wirtschaftlich zu behaupten wurden hämisch zur Kenntnis genommen und kommentiert. Die stabilitätsverrückten Deutschen konnten den von ihnen durchgesetzten Parkt nicht einhalten und wurden so gleich als Freibrief angesehen sich auch darüber hinwegsetzen zu können. Fiskalische Disziplin galt nichts, seitdem der ehemalige Musterschüler selbst daran scheiterte. Die Bundesregierung wurde zum Bittsteller, dass ein Defizitverfahren und Strafzahlungen seitens der EU-Kommission nicht gegen Deutschland eingeleitet würden.[2]

Man übersah, dass Deutschland aufgrund der dort herrschenden Krise zu grundlegenden Strukturreformen gezwungen war. Bereits vorher wurden die Sozialsysteme unter dem Druck der Finanzkrisen und hoher Lohnnebenkosten so reformiert, dass die Leistungen und Lohnnebenkosten nachhaltig gesenkt wurden. Dies war genau das Gegenteil zur Entwicklung in den Krisenländern.  Deutschland profitierte zugegebener Maßen von dem günstigen Umfeld, da ja in dieser Zeit die Weltwirtschaft und auch die EU sich in einer Phase deutlich höheren Wirtschaftswachstums befanden.  Man konnte daher über den Außenhandel Defizite in der Binnennachfrage in Deutschland leichter kompensieren zu mal Deutschland traditionelle eine starke Stellung im weltweiten Außenhandel einnimmt. Deutschland avancierte in dieser Zeit daher zum Exportweltmeister.[3] Man konnte unter diesen globalen Rahmenbedingungen die zuvor extrem hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland durch ein exportgetriebenes Wirtschaftswachstum reduzieren.[4] Gleichzeitig führte es aber auch zu einer Investitionsschwäche in Deutschland.[5] Zuviel Kapital floss aufgrund der Leistungsbilanzüberschüsse ins Ausland.[6]

Geld war dagegen schlagartig mit Beginn der Währungsunion für die PIIGS-Staaten zu billig geworden.[7] Die Haushaltsdisziplin dort brach sukzessive zusammen und es wurden aus Beton Luftschlösser gebaut und soziale Wohltaten verteilt, die man langfristig nicht bezahlen konnte. Bei den Haushalten fand eine kreditfinanzierter Immobilienboom statt, der bei steigenden Zinskosten zwangsläufig zu einem Platzen der Immobilienblase führen musste. Da die inländischen Ersparnisse für diese Kreditexpansion dieser Länder nicht ausreichten, wurde die Finanzierung durch Kapitalimporte massiv vorangetrieben. Das Bankensystem alimentierte dies ohne die damit einhergehenden Kreditausfallrisiken adäquat zu berücksichtigen. Man vertraute auf die Bonitätsbewertungen der international führenden Ratingagenturen. Die Leistungsbilanzen der Krisenländer sprechen hier eine deutliche Sprache. Daraus leitete man dann nach Ausbruch der Krise flugs ab, dass Deutschland sich zu Lasten der Krisenländer eine Wettbewerbsfähigkeit durch Lohndumping insbesondere im Zuge der Agenda 2010 erschlichen hätte. Schuld haben bekanntlich in einem blame game immer die anderen.

Nun wissen Ökonomen ja generell, dass jedes Ding zwei Seiten hat. Angebot und Nachfrage müssen am Markt in Übereinstimmung miteinander gebracht werden. Das Marktergebnis ist jedoch nicht immer ein nachhaltiges Gleichgewicht, sondern kann auch ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Nachhaltigkeit repräsentieren. Zu dem müssen alle Akteure sowohl auf der Nachfrage- wie auch auf der Angebotsseite für das Marktergebnis Verantwortung übernehmen.

Die Tragfähigkeit der Schulden war bereits mit Beginn der Eurozone in großer Gefahr. Die Reaktion auf die Eurokrise war jedoch unter der Begleitung zahlloser prominenter Ökonomen stattdessen die schnelle Rückkehr zu einem gleichen niedrigen Zinsniveau wie vor der Eurokrise im Jahr 2006 mit Hilfe von Eurobonds[8] anzustreben.[9] Die Ursache für die Kreditblasen in den Ländern sollten daher mit noch mehr Krediten zu Niedrigzinsen bekämpft werden. Geringere Zinskosten sollten als Painkiller für eine bestehende und sich weiter verschärfende Strukturkrise eingesetzt werden. Man wollte so weiterwursteln wie bisher.

Die strukturellen Probleme, die diese Länder schon vor dem Beitritt der Eurozone aufwiesen, sollten erneut mit einer Politik des billigen Geldes zugekleistert werden. Man hatte und wollte aus der Krise nichts gelernt haben bzw. wollte für die Zukunft nichts dazu lernen. Das Schlaraffenland der Politik des billigen Geldes sollte fortbestehen und wie dort führte das auch zu einer Trägheit was Reformwillen und Strukturanpassungen betrifft. Der Begriff moralisches Risiko umschreibt diesen Sachverhalt nur euphemistisch.

Trotz des Stabilitäts- und Wachstumspakt und der zwei Kriterien der Defizit- und Schuldenquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt wurden diese Kriterien spätestens mit der Entscheidung von Deutschland und Frankreich Defizitverfahren de facto auszusetzen,  zu einem Rechtsrahmen ohne Wert.[10] Da der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht mehr sanktionsbewehrt war, brach die fiskalische Disziplin insbesondere in den jetzigen Krisenländern völlig zusammen.

Staatsverschuldung_in_Europa

Der Glaube an die Beständigkeit der Niedrigzinsen auf den Kapitalmärkten erwies sich jedoch als fatale Fehleinschätzung.  Mit der globalen Finanzkrise, die ihren Ausgangspunkt in den USA hatte, wurde die Fragilität der Finanzverfassung zahlreicher EU-Länder und insbesondere auch der Eurozone offensichtlich. Steigende Zinsen weltweit und Kapitalflucht in Ländern mit größerer Finanzstabilität hatten umgekehrt Schuldenfallen in den PIIGS-Ländern zur Folge. Die Krisenländer bekamen aufgrund der Haltung der internationalen Geldgeber kein Geld mehr oder zu extrem hohen Zinssätzen aufgrund hoher Risikoaufschlage. Die CDS- Spreads[11] der PIIGS-Staaten zu Ländern wie beispielsweise Deutschlands zeigten dies deutlich. Gleichzeitig führte die prekäre Lage dazu, dass insbesondere auch die Refinanzierungskosten der bereits bestehenden Schulden aufgrund des Zinsschocks in die Höhe schossen. Das lockte natürlich auch Spekulanten an, die auf Staatspleiten und ein Auseinander brechen der Währungsunion insbesondere auch über Derivatmärkte mit hohen Hebeleffekten spekulieren konnten. Mithin waren die Spekulanten weitere Sündenböcke, die für die Krise verantwortlich gemacht werden konnten, ebenso die Ratingagenturen.  Aber damit wurden nur die Symptome und nicht die fundamentalen Ursachen thematisiert. Es ist eben die strukturelle Divergenz zwischen den Ökonomien der Mitgliedsländer, die mit der Einführung des Euro eingeleitet wurde. Allerdings ist diese Entwicklung nicht monoton nur in eine Richtung Verlaufen. Die Gewinne und Verluste waren auf der Zeitachse für die einzelnen Länder höchst ungleich verteilt. Was zuerst als komparativer Vorteil für die jetzigen Krisenstaaten erschien, wandelte sich ab 2008 zu einem fundamentalen Nachteil. Jetzt sind Strukturanpassungen plötzlich unausweichlich geworden und das weltwirtschaftliche Umfeld dafür ist mehr als ungünstig. Man hat Double Trouble. Man hat die günstige Zeit für Strukturreformen zuvor verpasst. Jetzt ist das Wehgeschrei groß zumal die Arbeitslosigkeit[12] hoch und die Wirtschaft[13] in der Rezession steckt. Unter solchen Rahmenbedingungen Strukturreformen umsetzen zu müssen bedeutet zwangsläufig eine Rosskur, die durch massive soziale Konflikte begleitet sind.

Was tun?

Die Länder der Eurozone haben darauf mit einem Bündel von Hilfsmaßnahmen reagiert. Der Forderung nach Zinssenkungen wurde durch eine Reihe von Hilfsfonds mit einer Haftung der Mitgliedsländer der Gemeinschaft reagiert. Allerdings wurden diese Mittel nicht ohne Konditionen an Reformanstrengungen gewährt. Der EFSF und jetzt auch der ESM dürfen nur Finanzierungshilfen unter Auflagen geben, die durch die Troika bestehend auf IWF, EU-Kommission und EZB, nach Prüfberichten durch die Troika freigegeben werden können.[14]

Was zunächst als angemessene Form in der Tradition des IWF zur Beseitigung von Zahlungsbilanzkrisen einzelner Länder weltweit angesehen wurde, entwickelt sich immer mehr zum Zankapfel, da die vereinbarten Strukturanpassungen nicht entsprechend zügig umgesetzt werden. Mithin werden die Vereinbarungen schon seit Beginn der ersten Griechenland Hilfszahlungen regelmäßig gebrochen. Die Konsolidierungsfortschritte bleiben deutlich hinter den geplanten zurück. Um einen Zusammenbruch bei Beendigung der Hilfsprogramme zu vermeiden, werden trotz Minderleistungen die Hilfsbeträge weiter ausgezahlt. Die Konditionalitäten der Troika werden jedoch so mehr und mehr zu einem Papiertiger.

Wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt werden auch hier die Vereinbarungen systematisch unterhöhlt. Die Regierungen der betroffenen Länder berufen sich auf die Unmöglichkeit die Vereinbarungen vorsätzlich oder aufgrund ungünstiger Umstände umzusetzen. Dabei behauptet man, man würde solche Vereinbarungen nur aufgrund des Diktats der Troika abschließen. Der Schuldige sitzt wider nicht daheim, sondern im Ausland. Deutschland und die Kanzlerin werden bewusst zu Hassobjekten stilisiert. Die Zustimmung zur EU und zur Währungsunion sinkt dramatisch.[15] Die EU und die Währungsunion und ihre Institutionen stehen damit auch vor einem Legitimationsproblem.

Es verwundert nicht, dass die EU und ihre Institutionen in eine Legitimationskrise gerutscht sind. Man hat lange Jahre vor Ausbruch der Krise ein Kalmierungspolitik betrieben. Man hat – um des lieben Friedens willen – Verstöße und Rechtsbrüche toleriert. Damit hat sich aber auch ein Verhalten immer mehr durchgesetzt, das bestehende Regelwerk der Verträge nicht mehr ernst zu nehmen. Diese Erbe einer Dysfunitionalität plagt jetzt jede institutionelle Reform, die angepackt wird. Versprochen gebrochen ist eben nicht nur bei der No-Bailout-Klausel die alltägliche Erfahrung, sondern betrifft den neu beschlossenen Fiskalpakt oder eben die Konditionalitäten bei den Verhandlungen mit der Troika. Das nährt die Zweifel, dass institutionelle Reformen auch wenn die von Regierungen und Parlamenten keine Wirksamkeit haben werden, wenn es den nationalen Interessen einzelner Länder widerspricht. Das politische System erweist sich als zunehmend handlungsunfähig. Es ist kein Geheimnis mehr, dass damit eine allgemeine Verunsicherung über die Absichtserklärungen und deren wirksamer Umsetzung immer weitere Kreise zieht. Viele setzten daher ihre Hoffnungen nur noch auf die EZB, die als einzige noch handlungsfähige Institution der Währungsunion angesehen wird.[16] Das ist aber eine gefährliche Überdehnung des Mandats der EZB.

Ihre Aufgabe besteht ja grundsätzlich nur darin für Preisstabilität in de Mitgliedsländern zu sorgen und bei einer Finanzmarktpanik als lender-of-last-resort[17] eine Liquiditätskrise durch entsprechende Bereitstellung von Zentralbankgeld zu verhindern. Schon durch die Beteiligung an der Troika hat sie jedoch eindeutig politische Funktionen übernommen, die durch ihr ursprüngliches Mandat nicht gedeckt sind. Sie hat damit bereits einen Teil ihrer Unabhängigkeit geopfert. Schließlich ist sie ja dadurch für den Erfolg und Misserfolg der Konsolidierungspolitik mitverantwortlich.

Hinzu kommt, dass sie aufgrund der Konditionalitäten eine alternative Refinanzierungsquelle für Staatsschuldenfinanzierungen der Krisenländer geworden ist. Durch den Ankauf von Staatsschuldpapieren auf dem Sekundärmarkt via SMP und zukünftig auch OMT, wenn dem das Bundesverfassungsgericht nicht einen Riegel vorschiebt, wird Staatschuldenfinanzierung einzelner Krisenländer ohne Konditionalisierungen betrieben. Es verwundert nicht, dass sie damit zum lender-of-first-resort[18], d.h. es ist immer attraktiver bei der EZB sich zu refinanzieren als sich den Zwängen der Troika-Programme und damit Mitteln über den EFSF oder ESM zu beschaffen. Es gehört zu einem schwelenden Konflikt zwischen der EZB und dem EFSF/ESM wer denn nun für diese Aufgabe zuständig sein soll. Bisher legitimiert sich die EZB darüber, dass sie quasi nur eine Zwischenfinanzierung vornehme und später diese Aufgabe auf den EFSF/ESM übertragen werden soll. Allerdings dauert der Übergang schon viel zu lange und die Refinanzierungssummen der Krisenländer übersteigen das Finanzvolumen des Rettungsfonds deutlich. Insbesondere die Target2-Salden verharren weiterhin auf einem hohen Niveau.[19] Sollte es zu Ankäufen durch das OMT demnächst kommen, ginge die EZB zusätzlich weitere hohe Kreditrisiken ein. Letztendlich findet hier mit Duldung der Regierungen und Parlamente der Mitgliedsländer eine Selbstermächtigung statt.[20] Alle Maßnahmen der EZB – so die Rechtsauffassung der EZB – sind durch ihren Rechtsrahmen gedeckt. Allerdings bestehen diesbezüglich insbesondere in Deutschland schwere Zweifel, Die Klagen beim Bundesverfassungsgericht machen dies deutlich. De facto geht die EZB hohe Risiken ein, in dem sie ihre Bilanzsumme mit Wertpapieren zweifelhafter Bonität massiv ausgeweitet hat. Ihre Hoffnung ist, dass Kreditausfälle auf solche Wertpapiere ausgeschlossen werden können. Dass dies wohl eine fromme Hoffnung ist, die an der Realität scheitern könnte, zeigt bereits der Streit zwischen IWF und EZB letztere sollte im Zuge eines Schuldenschnitts für Griechenland Verluste realisieren und in ihrer Bilanz ausweisen.[21] Dabei herrscht das Heilige-Sankt-Florians-Prinzip. Der IWF sieht sich als erstrangiger Schuldner, der keinen Schuldenschnitt zu tragen habe. Die EZB möchte ähnlich behandelt werden. Die Geberländer insbesondere Deutschland wollen nicht gegenüber der eigenen Bevölkerung den Offenbarungseid leisten, dass man dem schlechten Geld noch gutes des deutschen Steuerzahlers hinterher geworfen hätte. All dieses Manövrieren stärkt natürlich nicht die Glaubwürdigkeit der Politik einschließlich des IWF und der EZB. Auch wenn die Mehrheit der Bürger innerhalb der EU und insbesondere auch in Deutschland das immer komplexere Gespinst der Finanzakrobatik der Politik einschließlich der EZB durchschauen kann, schwindet das zunehmend Vertrauen in die Wirksamkeit der ergriffenen politischen Maßnahmen und institutionellen Reformen. Vieles was theoretisch auf dem Papier ja hübsch aussehen mag, hat sich in der praktischen Umsetzung als äußerst fragwürdig erwiesen. Die großen Versprechungen bei Einführung der Wirtschaft- und Währungsunion haben sich ja auch in der Vergangenheit als illusionär erwiesen.  Glaubwürdigkeit und Vertrauen müssen jedoch mühsam über die Einheit von Wort und Tat erworben werden. Wer immer wieder viel verspricht, aber diese Versprechen nicht halten kann, dem glaubt man nicht.

Jetzt droht mit dem Ende der weltweiten Niedrigzinspolitik aufgrund der Beendigung der ultra-leichten Politik der Zentralbanken ein weltweiter Zinsanstieg. Es ist mehr als zweifelhaft, ob sich die EZB dieser Entwicklung verweigern kann. Auch in Deutschland zeigen sich erste Warnsignale einer Zinswende.[22] Mithin werden sich die Rahmenbedingungen tendenziell weiter verschlechtern. Die BIZ fordert bereits in seinem jüngsten Jahresbericht[23] trotz der damit verbundenen Kosten an steigender Arbeitslosigkeit und niedrigeren Wirtschaftswachstums, die Politik des billigen Geldes zu beenden, da es bereits jetzt zu einer deutlichen Herausbildung weltweiter Finanzblasen gekommen ist.[24] Wenn man eine kontrollierte Deflationierung der Finanzmarktblase noch erreichen will, dann muss jetzt gehandelt werden. Jede Verzögerung schafft noch größere globale Finanzmarktrisiken, die von der bereits fragilen globalen Finanzmarktverfassung noch schlechter bewältigt werden können. Es ist fünf Minuten vor zwölf.

Im Ergebnis muss deshalb konstatiert werden, dass die Politik bei der Reform der Finanzmärkte und der Stabilisierung insoweit versagt hat, dass man viele zentrale Probleme nicht gelöst, sondern leichtfertig in die Zukunft verschoben hat. Doch die Zukunft ist bekanntlich das Heute von morgen. Der Zahltag könnte schneller kommen als es sich viele erhofft haben. Dann ist es aber zu spät.


KfW mutiert zur Bad Bank der Eurozone

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist die drittgrößte Bank Deutschlands. Sie ist die Staatsbank, die unter direkter Kontrolle des Bundesfinanzministeriums steht und keinerlei Bankenaufsicht[1] wie der BaFin[2] oder EBA[3] unterliegt. [4] Bisher war sie im Wesentlichen mit ihrer Geschäftstätigkeit auf die Finanzierung von Krediten für politische Zwecke von Inländern ausgerichtet. Jetzt beginnt offensichtlich der Bundesfinanzminister Schäuble damit, dieses Prinzip zu durchbrechen und will zur Bankenrettung in Italien, Spanien und Portugal die KfW als Kreditgeber einsetzen.[5] Damit macht er die KfW, die ja direkt durch die Staatshaftungsgarantie Deutschland besichert ist, zur Bad Bank Europas. Das geschieht außerhalb der Budgethoheit des Deutschen Bundestags. Mithin werden hier entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Haftungsbegrenzung bei EFSF/ESM neue Haftungsrisiken außerhalb des Bundeshaushalts eingegangen. Das ist eindeutig verfassungswidrig. Es zeigt aber auch wie verzweifelt inzwischen die Lage der Politik der Rettungspakete ist.

EZB als Staatsfinanzierer und Bankenretter auf dem Rückzug

Offenbar kann die EZB nicht wie im letzten Jahr noch verkündet im Rahmen des geplanten OMT-Programms ankaufen.[6] Man fürchtet das Veto des Bundesverfassungsgerichts. In einem Rechtsgutachten kommt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Di Fabio zum Ergebnis, dass Deutschland sogar zum Austritt aus der Währungsunion gezwungen sein könnte, wenn die anderen Länder der Gemeinschaft weiterhin fortgesetzten vertragsbrüchig bleiben.[7] In der kommenden Woche findet jetzt die öffentliche Verhandlung bezüglich der EZB und ihrer Staatsanleihenkäufe  in Karlsruhe statt. Die Bundesbank hat sich seit Beginn strikt gegen diese Ankäufe einer indirekten oder gar direkten Staatsfinanzierung durch die Notenpresse ausgesprochen.[8] Das gibt der Klage ein zusätzliches Gewicht, da ein Verfassungsorgan wie die Deutsche Bundesbank sich gegen die Politik der EZB stellt. Die BIZ[9] hat sich ebenfalls gegen eine Haftung der Steuerzahler bei einer Bankenrettung innerhalb der geplanten Bankenunion[10] ausgesprochen.[11]

Desolate Wirtschaftslage in Europa

Wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage in den Krisenländern und der sich weiter verschlechternden Lage auch in den übrigen Mitgliedsländern der EU versucht man jetzt verzweifelt Wachstumsimpulse zu setzen, die jedoch wenig erfolgversprechend sind. Die Politik der Finanzhilfen im Gegenzug zu grundlegenden Strukturreformen in den Krisenländern ist gescheitert.  Der IWF als Mitglied der Troika hat jetzt schwere Irrtümer bei der Verabschiedung des ersten Rettungspakets für Griechenland eingeräumt.[12] Er versucht damit einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland zu erzwingen, der dann jedoch zu Lasten der Geberländer gehen würde. Insbesondere die EZB und auch der EFSF müssten dann ihre Forderungen in ihren Bilanzen abschreiben. Der IWF hingegen verfügt über eine Klausel, die ihn von derartigen Schulderlassen freistellt. Mithin ist dieser Vorstoß des IWF nicht ganz uneigennützig. Müssen die anderen auf ihre Forderungen verzichten, dann wird die Forderung des IWF gegenüber Griechenland sicherer.[13] Dem hat die EU-Kommission und die EZB aus verständlichen Gründen heftig widersprochen.[14]  Letztendlich würde sich an der Lage Griechenlands effektiv durch einen Schuldenschnitt nichts Wesentliches ändern.[15] Griechenland zahlt bereits jetzt weder Zinsen noch Tilgung für die erhaltenen Hilfskredite. Es wäre nur eine Bilanzverkürzung ohne dass dadurch zusätzliche Mittel dem griechischen Staat zur Verfügung ständen. Zudem erweisen sich die Sparpakete, die von der Troika mit den Krisenländern der Eurozone ausgehandelt wurden, als wenig erfolgreich. Von einer Konsolidierung der Staatsausgaben[16] kann dort bisher keine Rede sein.[17] Wegen des Ausbrechens des IWF aus der Solidarität mit der EU-Kommission und der EZB wird jetzt sogar die Forderung nach einer Beendigung der Troika von FDP-Politikern erhoben.[18] Man hofft vielleicht dadurch die Transparenz über die erzielten oder nicht erzielen Anpassungsfortschritte bei den Strukturreformen der Krisenländer beseitigen zu können.

Alles dies deutet auf eine weitere Zuspitzung der Eurokrise hin. [19] Der mühsam ausgehandelte Fiscal Compact[20] mit Schuldenbremsen für alle Mitgliedsländer der Eurozone ist bereits jetzt Makulatur. Die Finanzminister haben ihn für mehrere Jahre wieder außer Kraft gesetzt.[21] Selbst die EU-Kommission erweist sich unfähig den EU-Haushalt zu senken.[22] Derweil verschärft sich die Wirtschafts-[23] und Beschäftigungskrise[24] innerhalb Europas immer stärker. Die nordischen Länder stehen vor dem Problem einer auch dort jetzt platzenden Immobilienblase.[25] Deutschland leidet derzeit auch besonders unter der Flutkatastrophe.[26] Wegen auch weltweit bestehender Wachstumsschwäche gerät auch die Exportwirtschaft in Deutschland unter Druck, die bisher sich als wesentlicher Stabilisator für die deutsche Wirtschaft erwiesen hat.  Frankreich als zweites wichtigstes Land der Eurozone befindet sich bereits in der Rezession.[27]

Die KfW wird es nicht richten können

Unter diesen Rahmenbedingungen die KfW jetzt als Lender-of-Last-Resort der maroden Banken innerhalb anderer Banken in Europa einsetzen zu wollen, ist abenteuerlich. Wie bei der Flut an der Elbe können brechende Dämme nicht mit Geldsäcken gestopft werden. Geld das man ja gar nicht hat, sondern einfach als Buchgeld willkürlich kreiert. Der Geldillusion wird nur eine weitere Dimension hinzugefügt.[28] Der Karren steckt nach fünf Jahren Rettungspolitik tief im Morast und niemand weiß jetzt noch wie man ihn da wieder herausbekommen kann.[29]

Es bedarf letztendlich gewaltiger Anstrengungen zu einem umfassenden Reset der völlig aus dem Ruder gelaufenen Verschuldungen. Dabei werden äußerst scherzhafte Schuldenschnitte kaum vermeiden werden können. Es müssen aber auch drastische Änderungen am gesamten Rahmen der Wirtschaft vorgenommen werden. [30] Dabei sind eine strikte Regulierung der Finanzmärkte und eine umfassende Reform des Steuersystems, um die grassierende Steuerflucht bis hin  zu den multinationalen Konzernen an vorderster Front zu nennen. Es werden aber auch soziale Ansprüche, die nicht mehr finanzierbar sind, auf ein realistisches Maß zurückgeführt werden müssen. Durchwursteln wie bisher gerät an seine natürlichen Schranken. Die fetten Jahre sind endgültig vorbei.


Türkei: Stadt gegen Land

Zunächst schien ein lokales Ereignis in Istanbul, die Neugestaltung eines Parks nahe dem Taksim Platz[1] durch die Errichtung eines Gebäudekomplexes als historisierendes Einkaufszentrum und Fällen zahlreicher alter Bäume ein lokales Ereignis zu sein. Friedliche Bürgerproteste wurden jedoch brutal von der Polizei niedergeknüppelt. Damit war der Funke in einen schwelenden sozialen Konflikt gefallen, der ein ganzes Pulverfass landesweit zur Explosion brachte. Es geht um einen sozialen Konflikt zwischen rückständiger islamischer Landbevölkerung und einer mehr liberalen an westlichen Lebensformen orientierten Stadtbevölkerung. Stadtmenschen gegen Landbevölkerung ist ein typischer Konflikt, der weltweit immer wieder massive Spannungen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen heraufbeschwört. Traditionelle Gesellschaftsvorstellung auf dem Land kollidiert mit denen eher an westlicher Lebensweise orientierte der Stadtbevölkerung. Ob Thailand, Teheran oder Kairo und jetzt Istanbul. oder Ankara.

Konservative Mehrheiten auf dem Land – Wie lange noch?

Traditionell leben auf dem Land konservativere Bevölkerungsteile, die oftmals – solange die Mehrheit der Bevölkerung noch auf dem Land leben – Politiker auch bei halbwegs demokratischen Wahlen an die Macht bringen, die ihren konservativen Lebensvorstellungen entsprechen. Der Prozess der Urbanisierung führt aufgrund der wachsenden Landflucht dazu, dass immer mehr Menschen insbesondere jüngere in die Städte drängen.[2] Damit verschiebt sich das Machtverhältnis zwischen traditioneller Landbevölkerung und urbanen Bürgern in den Ballungszentren. „Seit dem Jahr 2007 wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, während 1950 noch 70 % auf dem Land lebten. Nach Prognosen der UNO wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 % steigen und im Jahr 2050 rund 70 % erreichen. Weltweit gibt es über 63 Städte mit mehr als drei Millionen Einwohnern.“(siehe Fußnote 1)

Es erodiert daher die Machtbasis konservativer Herrscher und ihrer Parteiungen. Sie versuchen jedoch das tradierte Wertesystem der urbanen Bevölkerung aufzuzwingen. Erdogan, der eine Islamisierung und einen türkischen Nationalismus und konservative islamische Werte propagiert, muss damit zwangsläufig in Konflikt mit der jungen urbanen Bevölkerung geraten. Sie haben völlig andere Vorstellungen. Sie wollen eher an westlichen Lebensstilen orientierte Lebensweisen weiter leben können und auch vom Staat nicht darin reglementiert werden.

Mithin egal wie der aktuelle Konflikt schließlich enden wird, er lässt sich mit brutaler Staatsgewalt nicht dauerhaft befrieden. Gewalt der Polizeikräfte gegen die eigene Bevölkerung beschwört eher die Gefahr weiter eskalierender Gewalt herauf. Erdogan hat offenbar die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Er stemmt sich mit aller Macht gegen diesen Prozess der Verwestlichung. Drei-Kinder-Ehe, Patriarchat und sukzessive Maßnahmen zur Zurückdrängung westlicher kultureller Einflüsse schaffen zunehmende soziale Spannungen. Ob der Konflikt auf Dauer zugunsten der Traditionalisten entschieden werden kann, ist zweifelhaft. Erdogan muss nur nach Kairo schauen, wo Mursi[3] mit seinen Islam Brüdern zunehmend die Kontrolle über das Land entgleitet. Wer es nicht versteht den sozialen Frieden durch eine ausgleichende Politik zwischen den zunehmend heterogenen Wertesystemen in Stadt und Land zu vermitteln, kann schnell wie Mao es einmal sagte auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Eigentlich sollte Erdogan dies auch am Beispiel Syrien vor der eigenen Haustür erkannt haben. Auch hier versäumte Assad es den Liberalisierungswünschen großer Teile der Bevölkerung den erforderlichen Raum zu geben. Mit brutaler Gewalt löste er stattdessen zunächst einen Bürgerkrieg und jetzt wohl einen Stellvertreterkrieg der Mächte der Region und der Welt aus.[4] Gemäß dem Gesetz der nicht intendierten Folgewirkungen, hat Assad den geeigneten Zeitpunkt verpasst, den sozialen Frieden durch rechtzeitige Reformen wieder herzustellen.

In ihrem Machtstreben nach unbeschränkter Machtfülle, wird das Prinzip der Gewaltenteilung ausgehöhlt. Anstelle der Selbstbeschränkung und dem Wirkenlassen konsensuraler Verhandlungsprozesse wird stattdessen eine Autokratie etabliert. Diese ist jedoch nur mit Polizeistaatmethoden aufrechtzuerhalten und untergräbt damit langfristig die Legitimität der Herrschaft. In der Korruption aufgrund ausufernder Machtfülle und fehlender Rechtsstaatlichkeit werden solche Regime mit der Zeit immer fragiler. Es mag manchmal Jahrzehnte dauern bis diese Fragilität eines Regimes manifest wird, aber spätestens mit dem unabänderlichen Wechsel an der Führung, wenn der autokratische Machthaber altersbedingt nicht mehr weiter die Herrschaft ausüben kann, gerät das System in eine schwere Krise.

Türkei steht vor Wirtschaftskrise

Neben die politische Krise gesellt sich rasch eine Wirtschaftskrise hinzu. Die Türkei hat in den vergangen Jahren einen außerordentlichen Wirtschaftsboom erlebt. Insbesondere der Immobilienbereich zusätzlich angefeuert durch weltweit vagabundierendes billiges Geld aus den entwickelten Ländern hat eine Immobilienspekulation auch in der Türkei angefacht.[5] Der Prozess der Gentrifizierung[6] ergreift auch die Zentren der Türkei. Mieten explodieren, angestammte Einwohner werden aus ihren Vierteln verdrängt. Es herrscht eine grassierende Korruption und es werden zunehmend Gebäude am Bedarf vorbei gebaut. Dieser Cocktail verheißt massive soziale Spannungen.

Ähnlich wie in Spanien hat auch die Türkei einen Bauboom bei Immobilien in den touristischen Zentren entlang der türkischen Riviera[7] erlebt. Was zunächst den Weg zu schnellem Reichtum zu eröffnen schien, wird jetzt zu einer schweren Hypothek, wenn Leerstände[8] die Bauherrn oder Immobilienmaklern wie Blei auf den Bilanzen liegen. Wo vorher Billigreisen boomten, droht jetzt zahlreichen Reiseveranstaltern in der Türkei die Insolvenz.

GTI Travel einer der größten Reiseveranstalter in Deutschland für Türkeireisen ist bereits pleite.[9] In der Türkei steigen schon seit einiger Zeit die Preise deutlich schneller als in anderen Konkurrenzländern. Im Vergleich zur EU liegt die Inflationsrate etwa dreimal so hoch bei derzeit 6,1%. Das bringt zwangsläufig die türkische Lira unter Abwertungsdruck. Bereits seit Mitte letzten Jahres befindet sich die türkische Lira im Sinkflug.[10]  Dies schreckt ausländische Investoren ab, denn ihre Bestände an Investitionen in die Türkei verlieren gemessen am Außenwert systematisch an Wert.  Der reale effektive Wechselkurs der Türkei hat sich immer mehr dem der EU angenähert (siehe Abbildung 1), d.h. aber auch, dass die Türkei ihren Wettbewerbsvorteil insbesondere gegenüber zahlreichen Konkurrenten insbesondere in Europa sowohl im Tourismus aber auch als Billiglohnland verliert.

Abbildung 1 – Reale effektive Wechselkurse der Türkei und ausgewählter anderer Länder, 1994-2013.

Türkei

Quelle: BIS, 2013.

Dieser Trend könnte auch in den kommenden Jahren anhalten.  Die Fragilität der türkischen Wirtschaft, auf der das bisherige Wachstumsmodell basiert, nimmt deutlich zu.

Droht ein weiterer Militärputsch?

Hinzu kommen weitere Belastungen durch den Bürgerkrieg in Syrien. Der droht auch durch Flüchtlingsströme und grenzüberschreitende Scharmützel die Türkei in den Konflikt mit hineinzuziehen. Die Krise Zyperns und Griechenlands belastet auch die Türkei. Regionale Handelspartner wie Ägypten, Iran, Libanon, Jordanien und Israel leiden ebenfalls unter den politisch-militärischen Spannungen der Region. All das schafft einen brisanten Potpourri für die Türkei.

Hinzu kommt, das Erdogan das am Kemalismus[11] orientierte türkische Militär entmachtet hat.[12]  Diese ehemaligen Generäle dürften alles andere als loyal zu ihm stehen. Die Türkei stand schon immer unter dem Damoklesschwert eines Militärputsches. Bereits 1960[13] und 1980[14] hat das Militär durch einen Putsch die demokratisch gewählten Regierungen entmachtet. Sollte Erdogan immer weiter die Kontrolle über das Land entgleiten, dann könnte der nächste Militärputsch nicht allzu weit entfernt sein. All das sind dunkle Wolken, die derzeit über die Türkei heraufziehen.