Türkei: Stadt gegen Land

Zunächst schien ein lokales Ereignis in Istanbul, die Neugestaltung eines Parks nahe dem Taksim Platz[1] durch die Errichtung eines Gebäudekomplexes als historisierendes Einkaufszentrum und Fällen zahlreicher alter Bäume ein lokales Ereignis zu sein. Friedliche Bürgerproteste wurden jedoch brutal von der Polizei niedergeknüppelt. Damit war der Funke in einen schwelenden sozialen Konflikt gefallen, der ein ganzes Pulverfass landesweit zur Explosion brachte. Es geht um einen sozialen Konflikt zwischen rückständiger islamischer Landbevölkerung und einer mehr liberalen an westlichen Lebensformen orientierten Stadtbevölkerung. Stadtmenschen gegen Landbevölkerung ist ein typischer Konflikt, der weltweit immer wieder massive Spannungen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen heraufbeschwört. Traditionelle Gesellschaftsvorstellung auf dem Land kollidiert mit denen eher an westlicher Lebensweise orientierte der Stadtbevölkerung. Ob Thailand, Teheran oder Kairo und jetzt Istanbul. oder Ankara.

Konservative Mehrheiten auf dem Land – Wie lange noch?

Traditionell leben auf dem Land konservativere Bevölkerungsteile, die oftmals – solange die Mehrheit der Bevölkerung noch auf dem Land leben – Politiker auch bei halbwegs demokratischen Wahlen an die Macht bringen, die ihren konservativen Lebensvorstellungen entsprechen. Der Prozess der Urbanisierung führt aufgrund der wachsenden Landflucht dazu, dass immer mehr Menschen insbesondere jüngere in die Städte drängen.[2] Damit verschiebt sich das Machtverhältnis zwischen traditioneller Landbevölkerung und urbanen Bürgern in den Ballungszentren. „Seit dem Jahr 2007 wohnt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, während 1950 noch 70 % auf dem Land lebten. Nach Prognosen der UNO wird der weltweite Anteil der städtischen Bevölkerung bis 2030 auf über 60 % steigen und im Jahr 2050 rund 70 % erreichen. Weltweit gibt es über 63 Städte mit mehr als drei Millionen Einwohnern.“(siehe Fußnote 1)

Es erodiert daher die Machtbasis konservativer Herrscher und ihrer Parteiungen. Sie versuchen jedoch das tradierte Wertesystem der urbanen Bevölkerung aufzuzwingen. Erdogan, der eine Islamisierung und einen türkischen Nationalismus und konservative islamische Werte propagiert, muss damit zwangsläufig in Konflikt mit der jungen urbanen Bevölkerung geraten. Sie haben völlig andere Vorstellungen. Sie wollen eher an westlichen Lebensstilen orientierte Lebensweisen weiter leben können und auch vom Staat nicht darin reglementiert werden.

Mithin egal wie der aktuelle Konflikt schließlich enden wird, er lässt sich mit brutaler Staatsgewalt nicht dauerhaft befrieden. Gewalt der Polizeikräfte gegen die eigene Bevölkerung beschwört eher die Gefahr weiter eskalierender Gewalt herauf. Erdogan hat offenbar die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Er stemmt sich mit aller Macht gegen diesen Prozess der Verwestlichung. Drei-Kinder-Ehe, Patriarchat und sukzessive Maßnahmen zur Zurückdrängung westlicher kultureller Einflüsse schaffen zunehmende soziale Spannungen. Ob der Konflikt auf Dauer zugunsten der Traditionalisten entschieden werden kann, ist zweifelhaft. Erdogan muss nur nach Kairo schauen, wo Mursi[3] mit seinen Islam Brüdern zunehmend die Kontrolle über das Land entgleitet. Wer es nicht versteht den sozialen Frieden durch eine ausgleichende Politik zwischen den zunehmend heterogenen Wertesystemen in Stadt und Land zu vermitteln, kann schnell wie Mao es einmal sagte auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. Eigentlich sollte Erdogan dies auch am Beispiel Syrien vor der eigenen Haustür erkannt haben. Auch hier versäumte Assad es den Liberalisierungswünschen großer Teile der Bevölkerung den erforderlichen Raum zu geben. Mit brutaler Gewalt löste er stattdessen zunächst einen Bürgerkrieg und jetzt wohl einen Stellvertreterkrieg der Mächte der Region und der Welt aus.[4] Gemäß dem Gesetz der nicht intendierten Folgewirkungen, hat Assad den geeigneten Zeitpunkt verpasst, den sozialen Frieden durch rechtzeitige Reformen wieder herzustellen.

In ihrem Machtstreben nach unbeschränkter Machtfülle, wird das Prinzip der Gewaltenteilung ausgehöhlt. Anstelle der Selbstbeschränkung und dem Wirkenlassen konsensuraler Verhandlungsprozesse wird stattdessen eine Autokratie etabliert. Diese ist jedoch nur mit Polizeistaatmethoden aufrechtzuerhalten und untergräbt damit langfristig die Legitimität der Herrschaft. In der Korruption aufgrund ausufernder Machtfülle und fehlender Rechtsstaatlichkeit werden solche Regime mit der Zeit immer fragiler. Es mag manchmal Jahrzehnte dauern bis diese Fragilität eines Regimes manifest wird, aber spätestens mit dem unabänderlichen Wechsel an der Führung, wenn der autokratische Machthaber altersbedingt nicht mehr weiter die Herrschaft ausüben kann, gerät das System in eine schwere Krise.

Türkei steht vor Wirtschaftskrise

Neben die politische Krise gesellt sich rasch eine Wirtschaftskrise hinzu. Die Türkei hat in den vergangen Jahren einen außerordentlichen Wirtschaftsboom erlebt. Insbesondere der Immobilienbereich zusätzlich angefeuert durch weltweit vagabundierendes billiges Geld aus den entwickelten Ländern hat eine Immobilienspekulation auch in der Türkei angefacht.[5] Der Prozess der Gentrifizierung[6] ergreift auch die Zentren der Türkei. Mieten explodieren, angestammte Einwohner werden aus ihren Vierteln verdrängt. Es herrscht eine grassierende Korruption und es werden zunehmend Gebäude am Bedarf vorbei gebaut. Dieser Cocktail verheißt massive soziale Spannungen.

Ähnlich wie in Spanien hat auch die Türkei einen Bauboom bei Immobilien in den touristischen Zentren entlang der türkischen Riviera[7] erlebt. Was zunächst den Weg zu schnellem Reichtum zu eröffnen schien, wird jetzt zu einer schweren Hypothek, wenn Leerstände[8] die Bauherrn oder Immobilienmaklern wie Blei auf den Bilanzen liegen. Wo vorher Billigreisen boomten, droht jetzt zahlreichen Reiseveranstaltern in der Türkei die Insolvenz.

GTI Travel einer der größten Reiseveranstalter in Deutschland für Türkeireisen ist bereits pleite.[9] In der Türkei steigen schon seit einiger Zeit die Preise deutlich schneller als in anderen Konkurrenzländern. Im Vergleich zur EU liegt die Inflationsrate etwa dreimal so hoch bei derzeit 6,1%. Das bringt zwangsläufig die türkische Lira unter Abwertungsdruck. Bereits seit Mitte letzten Jahres befindet sich die türkische Lira im Sinkflug.[10]  Dies schreckt ausländische Investoren ab, denn ihre Bestände an Investitionen in die Türkei verlieren gemessen am Außenwert systematisch an Wert.  Der reale effektive Wechselkurs der Türkei hat sich immer mehr dem der EU angenähert (siehe Abbildung 1), d.h. aber auch, dass die Türkei ihren Wettbewerbsvorteil insbesondere gegenüber zahlreichen Konkurrenten insbesondere in Europa sowohl im Tourismus aber auch als Billiglohnland verliert.

Abbildung 1 – Reale effektive Wechselkurse der Türkei und ausgewählter anderer Länder, 1994-2013.

Türkei

Quelle: BIS, 2013.

Dieser Trend könnte auch in den kommenden Jahren anhalten.  Die Fragilität der türkischen Wirtschaft, auf der das bisherige Wachstumsmodell basiert, nimmt deutlich zu.

Droht ein weiterer Militärputsch?

Hinzu kommen weitere Belastungen durch den Bürgerkrieg in Syrien. Der droht auch durch Flüchtlingsströme und grenzüberschreitende Scharmützel die Türkei in den Konflikt mit hineinzuziehen. Die Krise Zyperns und Griechenlands belastet auch die Türkei. Regionale Handelspartner wie Ägypten, Iran, Libanon, Jordanien und Israel leiden ebenfalls unter den politisch-militärischen Spannungen der Region. All das schafft einen brisanten Potpourri für die Türkei.

Hinzu kommt, das Erdogan das am Kemalismus[11] orientierte türkische Militär entmachtet hat.[12]  Diese ehemaligen Generäle dürften alles andere als loyal zu ihm stehen. Die Türkei stand schon immer unter dem Damoklesschwert eines Militärputsches. Bereits 1960[13] und 1980[14] hat das Militär durch einen Putsch die demokratisch gewählten Regierungen entmachtet. Sollte Erdogan immer weiter die Kontrolle über das Land entgleiten, dann könnte der nächste Militärputsch nicht allzu weit entfernt sein. All das sind dunkle Wolken, die derzeit über die Türkei heraufziehen.


Syrien: Vom Bürgerkrieg zum Stellvertreterkrieg

Zu Beginn der Krise in Syrien, die damals ja nicht ganz zu Unrecht im Kontext des arabischen Frühlings[1] gesehen wurde, waren die Hoffnungen noch groß, dass es zu einem weitgehenden friedlichen Regimewechsel kommen könnte. Diese Hoffnung ist bitter enttäuscht worden. Je mehr Gewalt das Assad-Regime gegen die zunächst friedlichen Proteste einzusetzen bereit war, desto mehr radikalisierte sich die Protestbewegung und es begann ein immer brutalerer Bürgerkrieg sich zu entfalten.  Homs wurde zu einem Kristallisationspunkt der Auseinandersetzungen.

Der Westen insbesondere die USA waren aufgrund ihrer Erfahrungen im Irak und Afghanistan wenig geneigt sich in ein weiteres militärisches Abenteuer zu stürzen. Die Arabische Liga sollte zunächst zusammen mit der Uno eine politische Lösung herbeiführen. Diese Erwartungen wurden jedoch bitter enttäuscht. Die diversen Friedensmissionen endeten wegen der immer unpersönlicheren Kämpfe in Syrien ergebnislos.

Insbesondere auch im Weltsicherheitsrat fand sich keine breite Plattform zwischen den USA, China und Russland dem Treiben dort ein Ende zu bereiten.[2] Wegen der immer stärker auch hervortretenden religiösen Spaltungen zwischen Alawiten, Schiiten und Sunniten wurde der Krieg zusätzlich aufgeheizt: Der Iran zusammen mit der Hisbolla[3] im Libanon unterstützten nun auch militärisch das Assad-Regime und Saudi Arabien, Qatar auf weitere sunnitische Golfstaaten stellten sich hinter die Oppositionsgruppen. Des Weiteren entdeckten die internationalen Kämpfer, die sich auf al-Qaida[4] berufen sich gleichfalls auf die Seite der Oppositionsgruppen mit ihren Kenntnissen zu schlagen. Damit geriet der Konflikt immer stärker außer Kontrolle, da es immer weniger ein lokaler Bürgerkrieg war, sondern vom Ausland mit finanziert und durch Waffenlieferungen gesponsert wurden.

Daneben hat insbesondere Russland auf Seiten des Assad-Regimes aufgrund seiner dortigen militärischen Interessen[5] insbesondere seinen Stützpunk in Tartus[6], durch extensive Waffenlieferungen an das Assad-Regime dessen Zusammenbruch verhindert. Zuletzt eskalierte dies durch die Lieferung modernster russischer Waffensysteme zur Luftabwehr[7] sowie Raketen zum Angriff auf Schiffe[8], die gegen einen möglichen Blockadeversuch  des Westens diesen vor einem weiteren Engagement abhalten sollen.  Hinzu kommt ein großer russischer Flottenverband, der jetzt vor der syrischen Küste in Stellung gegangen ist.[9]

Hinzu kommt der wahrscheinliche Einsatz von Giftgas[10] durch die Truppen Assads.  Bombenangriffe Israels[11] gegen syrische Stützpunkte.[12] Damit droht eine weitere Ausweitung des Konflikts. Israel könnte zum Akteur im syrisch-libanesischen Bürgerkrieg werden.

Hinzu kommt die Türkei, die einerseits in großem Umfang Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen musste.[13]Zudem wurden türkische Grenzorte von Syrien aus mit Raketen beschossen. Letzteres führte dazu, dass auch die Bundeswehr[14] jetzt mit Patriot-Raketen die Türkei vor weiteren Raketenangriffen aus Syrien schützen soll. Des Weiteren kam es zu einem Terroranschlag in Reyhanli[15] mittels mehrerer Autobomben.[16]

Auch Jordanien droht in den Konflikt hineingezogen zu werden.[17] Der Nahe Osten gerät immer mehr in einen sich eskalierenden Konflikt verschiedener Regionalmächte, aber eben darüber hinaus auch der Weltmächte. Eine Lösung durch Verhandlungen rückt dabei immer weiter in eine unbestimmte Ferne. Aus dem Bürgerkrieg in Syrien ist längst ein Stellvertreterkrieg regionaler und globaler Mächte geworden. Da die verschiedenen Akteure derzeit keine gangbaren Kompromisslösungen erkennen lassen, ist das Ende der Eskalation nicht absehbar.  Stellt sich die bange Frage: explodiert das Pulverfass Nahost und was wird der Fall-out für die gesamte Welt insbesondere auch Europa sein?