Braucht Deutschland ein Ministerium für die Informationsgesellschaft?

Die Informationsgesellschaft in Deutschland, die immer abhängiger von elektronischen Kommunikationsmedien, ist fast alltäglich in den Schlagzeilen der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Überall entstehen soziale Konflikte über die Nutzung der digitalen Medien und Technologien. Die Themen reichen von Problemen bei der Breitbandversorgung insbesondere des ländlichen Raums und der damit verbundenen digitalen räumlich Spaltung unserer Gesellschaft, zu Fragen der Regulierung des Internets hinsichtlich der Netzneutralität oder auch der Nutzungsentgelte wie beispielsweise beim Roaming oder der Vergabe von Funkfrequenzen bis hin zu Fragen des Datenschutzes, Schutzes vor Cyberkriminalität und Cyber-War-Attacken oder auch der Totalüberwachung der Bürger durch ausländische staatliche Dienste, wie die NSA oder die GCHQ.
Hinzu kommen Fragen der Wahrung des Urheberrechtsschutzes von digitalen Gütern und Diensten. Das Recht auf Schutz des geistigen Eigentums muss im Zeitalter der weltweiten digitalen Kommunikation neu definiert und ausgehandelt werden. Je mehr durch Big Data sowie additives Manufacturing (populärer bekannt als 3D-Drucken) komplexe Datenbanken und deren Vernetzung sowie der Nutzung digitaler Konstruktionsunterlagen zur Reproduktion von Produkten letztendlich universell verfügbar gemacht werden könnte, desto riskanter wird es für alle beteiligten Akteure sich unzureichend vor unerwünschten und unberechtigter Nutzung zu schützen.
Ebenso droht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Privatsphäre von verschiedenen Interessengruppen aus Staat und Wirtschaft aufgrund ihrer Interessen ausgehöhlt zu werden. Bisher werden all diese Themen in der Regel meist stiefmütterlich in einer Vielzahl von Bundesministerien mit betreut. In der Regel spielen sie dort nur eine untergeordnete Rolle. Das Wirtschaftsministerium, das Innenministerium, das Ministerium für Bildung und Forschung, das Ministerium für Verteidigung und das Bundesministerium für Justiz oder das des Inneren sowie das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz alle sind in gewissen Teilbereichen mit diesen Fragen involviert. Jedoch spielen sie dort eben nur eine untergeordnete Rolle. Die aktuellen Schwierigkeiten sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die vielfältigen Aspekte die sich mit einer fortschreitenden Digitalisierung und damit Automatisierung unserer Gesellschaft stellen, nicht in einen adäquaten Gesamtrahmen der Politikgestaltung gestellt worden sind. Sie sind jedoch zu wichtig geworden, um weiterhin so stiefmütterlich behandelt zu werden.
Es kann doch nicht sein, wenn man seit knapp zwei Jahrzehnten rasanten Wirtschaftswachstums insbesondere auch in diesem Bereich unserer Gesellschaft dann im Zuge der aktuellen Krisen der Netzpolitik von Neuland spricht. Der letzte deutsche Bundestag hat ja im Rahmen einer Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft sich mit dieser komplexen Problematik auseinandergesetzt. Seit April dieses Jahres liegt jetzt der Abschlussbericht vor. Mithin liefert er auch eine angemessene Grundlage wie man ein zukünftiges Bundesministerium für die Informationsgesellschaft durch Zusammenfassung der bisher auf einzelne andere Ministerien verstreute Einzelkompetenzen soweit bündeln könnte, dass hierdurch eine größere öffentliche Wahrnehmung und Durchschlagskraft der hierfür relevanten Politikbereiche erreicht werden könnte. Die derzeitige Fragmentierung führt offenbar nicht mehr weiter. Es braucht einen weitaus intensiveren Dialogs und Austausch wie eine sinnvolle Politikgestaltung einer digitalen Gesellschaft aussehen könnte.
Auch auf EU-Ebene hat der Europäische Rat die Dringlichkeit einer aktiveren Politik für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion erkannt. Letztendlich erhofft man sich daraus auch mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, wenn die bisher bestehenden strukturellen Defizite abgebaut und die Innovationspotentiale besser als bisher genutzt werden könnten. Das muss nicht unbedingt zu einem Super-Ministerium führen, aber es würde doch ein erhebliches Gewicht neben den bisherigen traditionellen Ministerien einnehmen. Je mehr schrittweise Kompetenzen aus Deutschland auf die EU-Ebene verlagert werden desto wichtiger wird es die Gestaltungspotentiale auch innerhalb Deutschlands auszuschöpfen. Die Zukunft auf dem Weg in eine komplexe digitale Gesellschaft hat bereits begonnen. Es kommt jedoch darauf an sie in solche Bahnen zu lenken, dass am Ende der Gesellschaftsvertrag einer freiheitlich demokratischen Grundordnung auf der Basis einer sozialen Marktwirtschaft erhalten und zeitgemäß fortentwickelt werden kann. Es ist höchste Zeit dieses zentrale Politikfeld auch entsprechend durch institutionelle Reformen auch wirksamer und im öffentlichen Diskurs auch verantwortlicher zu machen. Darum sollte man jetzt ein neues Bundesministerium für die Informationsgesellschaft einrichten.

Google Glass: Eine Innovation mit Risiken und Nebenwirkungen

Mit Google Glass[1] möchte der Konzern the next big thing in den Markt für Kommunikationsgeräte bringen und damit der Konkurrenz insbesondere den anderen Smartphoneherstellern enteilen. Nun tritt neben der bidirektionalen Sprachkommunikation auch noch die visuelle Kommunikation hinzu. Allways on, lautet die Devise. Der Nutzer soll jederzeit Bildinhalte parallel zu seinen direkten Eindrücken beim Anschauen der realen Umwelt durch einfache Kopfbewegung aufzeichnen und später abspielen können. Das klingt verführerische, wirft aber zahlreiche Probleme auf.

Schutz der Nutzer vor Fehlverhalten und Gefährdung der Allgemeinheit

Zum einen gibt es ja auch die Möglichkeit im Sinne der augmented reality[2] nicht nur audiovisuelle Inhalte des Betrachters aufzuzeichnen.  Mithin die Konzentration des Nutzers bleibt auf seine Umwelt fokussiert, sondern er muss parallel dazu eben auch seinen Blick auf ihm eingespiegelte zusätzliche Inhalte konzentrieren.  Das kann jedoch seine Konzentration auf die Umweltwahrnehmung erheblich beeinträchtigen. Wie bereits beim Autofahren mit dem Handy hinlänglich bekannt, senkt dies die Aufmerksamkeit des Fahrers, wenn er seine Konzentration auf die Verarbeitung der augmented Informationen lenkt und dadurch von dem realen Geschehen abgelenkt ist. Gerade wo es um die volle Aufmerksamkeit mit kurzen Reaktionszeiten wie beim Verkehr in der Öffentlichkeit geht, können so wertwolle Bruchteile von Sekunden verloren gehen, die einen Unfall vermeiden oder verursachen. Wahrnehmungsphysiologisch ist daher große Vorsicht geboten, wenn Nutzer in solch kritischen Situationen sich durch ein solches Kommunikationsgerät ablenken lassen. Die damit verbundenen Probleme vom Einsatz von Handys im Straßenverkehr haben ja bereits zur Verpflichtung zur Verwendung von Freisprecheinrichtungen und dem Verbot der Nutzung von Handy von Autofahrern geführt. Hier ist also einerseits die Industrie, d.h. Google gefordert, die Grenzen der unbedenklich Nutzung unter kritischen Rahmenbedingungen, nachzuweisen. Andererseits ist der Gesetzgeber gefordert, durch entsprechende Gebote oder Verbote solche Risiken insbesondere im Interesse der Allgemeinheit auszuschließen. Fahrlässiger Umgang, der die Allgemeinheit gefährdet ist auszuschließen.[3] Grundsatz sollte hier bis zum Beweis des Gegenteils sein, es ist alles verboten was nicht ausdrücklich erlaubt ist.

Schutz der Privatsphäre

Mit der Möglichkeit der Aufzeichnung von audiovisuellen Inhalten durch einfache Kopfbewegung entsteht eine weitere Möglichkeit die Privatsphäre anderer zu verletzen. Wer möchte schon gerne unbemerkt und ohne seine ausdrückliche Einwilligung von jedem aufgezeichnet werden? Der heimliche Verführer Google Glass schafft jetzt eine weitere Möglichkeit hierzu. Es ist daher möglich von vornherein zweckmäßig hier rechtliche Missbrauchsschranken zu etablieren. Jeder Nutzer sollte daher wissen müssen, dass der Einsatz dieses Kommunkationsgerätes zur unberechtigten Aufzeichnung von Personen insbesondere auch h in der Öffentlichkeit dessen Privatsphäre verletzt und daher strafbewehrt ist. Das gilt erst recht in Bereichen die unmittelbar der Privatsphäre zuzurechnen oder den Arbeitsplatz betreffen. Das Ausspionieren von Mitarbeitern und/oder Kunden durch Unternehmen hat hier die Missbrauchsmöglichkeit und praktische Anwendung durch einzelne Unternehmen eindrucksvoll belegt.[4] Umgekehrt setzen sich aber auch Unternehmen oder andere Organisationen einem weiteren Risiko der Spionage durch solche Hilfsmittel aus. Mithin greift Google in erheblichen Umfang in diesen sensiblen Bereich mit neuen Endgeräten ein. Es wäre daher zwingend geboten eine Art Zulassungsverfahren vor dem breiten Verkauf solcher Endgeräte durch den Gesetzgeber zu etablieren. Mit dem Kauf eines solchen Gerätes sollte dessen Nutzer auch in Kenntnis gesetzt werden was er darf und was er nicht darf. Ohne diese ausreichende Belehrung könnte es zu erheblichen Rechtsstreitigkeiten kommen. Google und deren Kunden sollten vorab durch eine Nutzungsordnung, die den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz gewährleistet, in die Verantwortung genommen werden.

Wer hat Zugang zu den Daten?

Die Krise beim Einsatz von Endgeräten, die Nutzerverhalten automatisch protokollieren, stellt die Frage, wie hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung[5] gewahrt werden kann. Gerade der Boom im Bereich der Mobilkommunikation und der Einsatz von Apps zahlloser Hersteller schafft Probleme, da über diese eine Aufzeichnung von Nutzerverhalten ohne dessen ausdrückliche Einwilligung erfolgt. Hinzu kommt, dass diese Daten weitgehend unkontrolliert an Dritte weitergegeben und kommerziell genutzt werden können.  Unter dem Stichwort Big Data[6] werden immer größere individualisierte Datenmengen zu vielfältigen Formen des Profiling eingesetzt. Das kann einerseits für den Kunden auch Vorteile bieten, wenn er auf seine Bedürfnisse zugeschneiderte Informationen auch in der Werbung erhält. Andererseits kann es zu Missbrauch führen. Ein besonders offensichtliches Beispiel ist Mikro-Pricing.[7] So ließe sich aufgrund des bekannten Konsumentenverhaltens entsprechend eine Preisdiskriminierung zu Lasten des Kunden realisieren. Hat er eine hohe Zahlungsbereitschaft auch überhöhte Preise zu akzeptieren, dann wird er systematisch von Anbietern durch solche Preisangebote diskriminiert.

Es ist hinlänglich bekannt, dass Personalchefs inzwischen ausgiebig von Informationen von Bewerbern oder Mitarbeitern Gebrauch machen, um sich so einen Informationsvorteil bei ihren Entscheidungen zu verschaffen.[8] Versicherungen und Banken nutzen Profile potentieller oder bereits vorhandener Kunden zu einer Risikosegmentierung durch Risikoscoring[9] sich Informationsvorteile zu verschaffen. Dabei besteht jedoch auch das Risiko, dass Fehlinformationen den entsprechenden Kunden erhebliche Nachteile bringen können. Google musste ja auch gerade eine Entscheidung des BGH hinnehmen, dass man durch technische Verfahren wie Autocomplete nicht diskriminierende Assoziation zu Lasten des betroffenen bereitstellen darf.[10] Es geht also hier nicht nur um die beabsichtigte Falschinformation über einzelne Personen, sondern auch um die unabsichtliche Desinformation durch fehlerhafte technische Systeme.

Derzeit herrscht jedenfalls die äußerst problematische Lage, die Nutzer als Lieferanten von personalisierten Informationen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch technische Systeme wie jetzt auch noch Google Glass entzogen wird. Insbesondere werden solche Systeme bereits beim Kauf nicht auf eine Konfiguration festlegt, die weitestgehend Missbrauch zu Lasten des Nutzes ausschließt.  So wird auch beispielsweise eine Utility wie Noscript[11], die dem Nutzer die weitgehend vollständige Kontrolle über die Ausführung von diversen Hintergrundprogrammen ermöglicht, nicht als Ausstattung von Browsern und entsprechend vorkonfiguriert angeboten. Stattdessen sollen Nutzer das offene Scheunentor eines ungewollten persönlichen Datentransfers hinnehmen. Hier wäre auch eine breite Aufklärungskampagne der Öffentlichkeit geboten, wie man sich wirkungsvoll gegen solchen Missbrauch schützen kann.

Datenweitergabe von persönlichen Informationen, die ohne Zustimmung durch technische Systeme wie nun auch Google Glass gewonnen werden, sollte grundsätzlich nicht zulässig sein. Insbesondre sollten hierzu auch allgemeine Geschäftsbedingungen klar und unmissverständlich den Nutzer dauerhaft vor unerwünschten Datenklau schützen. Mithin sollten AGBs der verschiedenen durch unabhängige Datenschützer geprüft und auf datenschutzrechtliche Verträglichkeit zertifiziert werden. Die derzeitige Praxis der Anbieter den Nutzer von ihren Diensten vor die Wahl zu stellen, take-it-or-leave-it, ist letztendlich unerträglich. Sie macht Nutzer zum Freiwild, der seine Grundrechte auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung nicht wirkungsvoll durchsetzen kann.

Netzpolitik wird in Zukunft aufgrund seiner weitreichenden Folgen für die Gesellschaft immer wichtiger werden. Rechtszeitig hier einen angemessenen Rechtsrahmen und Zulassungsverfahren zu schaffen ist Aufgabe der Politik um die Grundrechte der Bürger dauerhaft auch in einer sich rasch wandelnden technologischen Umwelt zu gewährlisten. Grundsatz sollte hierbei sein: wehret den Anfängen. Man sollte der normensetzenden Kraft des Faktischen, die faktensetzende Kraft des Normativen entgegen halten. Nur so ist der technologische Fortschritt zum Wohle der gesamten Gesellschaft sicherzustellen. Die Risiken einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in Wissende und Unwissende über die Privatsphäre einzelner war nie größer als heute. Google Glass ist ein weiterer Schritt in dieser Richtung, wenn der Gesetzgeber versagt und die Grenzziehungen nicht vorab klar und unwiderruflich etabliert.